Heydemann: Ueber die Bedeutung der Sachverständigen-Vereine rc. 13
nicht nur hat der höchste Gerichtshof im Jahre 1857 definitiv festge-
stellt, daß der Richter die Entscheidungen des Sachverständigen-Vereins
zwar „als endgültige Gutachten zu betrachten habe", aber doch be-
rechtigt sei, „das Gutachten als solches seiner eigenen selbstständigen
Beurtheilung zu unterziehen und demgemäß zu erkennen"-^), son-
dern es hat sich auch in langjähriger Praxis niemals ein wirklicher
Zwiespalt zwischen den Gerichtsbehörden und den Sachverständigen-
Vereinen in dieser Beziehung hervorgethan.
In der Lhat spricht auch schon die Entstehungsgeschichte unserer
Gesetzgebung für die der richterlichen Entscheidung untergeordnete 'Be-
schaffenheit unserer sachverständigen Gutachten. Es sind eben Gut-
achten, die sich durch richtige Motivirung der Ueberzeugung des
Richters empfehlen müssen. Nirgends ist es zu einer Analogie mit
dem Wahrspruch von Geschworenen über die sog. That- (richtiger
Schuld-) Frage gekommen. Und mit dieser Auffassung der Sache
haben die Sachverständigen-Vereine selbst um so lieber in Ueberein-
stimmung gelebt, als sie dabei nicht bloß von einer gewissen oourtowis
oder von einem äußerlichen Respekt vor der richterlichen Autorität, son-
dern vielmehr von der Erwägung des höheren Interesse der Rechtfin-
dung geleitet wurden, welche gerade dadurch und nur dadurch so wesent-
lich gefördert wird, daß die beiden G emente, das technische und das
richterliche, einander gegenseitig und organisch durchdringen und
ergänzen.
Die Arbeit der Sachverständigen-Vereine besteht nicht bloß in
äußerlicher Mitwirkung, sondern bildet einen integrirenden Theil des
ganzen gerichtlichen Verfahrens. Die Sachverständigen-Vereine werden
nach wie vor nicht in der Gerichtssitzung mit ihrem Gutachten ver-
nommen, sondern sie verrichten ihre mitunter sehr schwierige und weit-
schichtige Arbeit ganz im Stillen und selbstständig für sich und bringen-
dem Richter nur das Resultat ihrer Forschungen und Berathungen' in
ihrem schriftlichen- Gutachten30). Andererseits ist aber der Nichte?selbst,
sei- es auch erst nach dem Gutachten des Sachverständigen-Vereins,
vollkommen im Stande, ebensowohl dle technische wie die juristische
Seite der Nachdrucksfrage zu beherrschen, insbesondere geeigneten Falles
das technische Gutachten, gleichsam durch Aufnahme des Augenscheins,
nachzuprüfen31).
So haben wir denn namentlich im literarischen Sachverständigen-
Verein in der langen Praxis eines mehr als vollen Menschenalters stets
Wochenschrift für die Preuß. Staaten in ihrem nennten Jahrgange (1843: Heransg.
Temme), S, 287—292. Vgl Wächter a. a. D., S. 731.
is) Justiz Ministerial-Blatt v I. 1857, S. 294—298.
3R) In ihrer Vorarbeit werden die LachverständigewVereme allerdings gelegent-
lich nicht umhnr können, die ihnen einmal aufgetragene Prüfung einer zn ihrer
technischen Kompetenz gehörenden Frage frei und in gewisser, wmn auch beschränkter
Weise sogar von Amtswegen, auch ans solche Materialien zu erstrecken, welche sie
nach der ihnen beiwohnenden Kenntniß des literarischen oder artistischell Terrains erst
herbeigeschast't haben: Hn. und Dch, S. 403 ff., vgl. mit S. 355.
*‘) Z. B. Hn. und Dch., S. 354.