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Rechtssprüche.
der Station K. die ihnen obliegende, durchaus notwendige Controls Mer
die richtige Kreuzung zu üben. Dies Verhalten der beiden Bahnbeamten,
für welche der beklagte Fiskus nach Art. 400, 423, 427 2 unbedingt ein-
zustehen hat, erscheint nicht nur als dienstwidrig und kopflos, sondern geradezu
als frevelhaft.-„Beide Beamte kannten die Gefahr, welche sich an die
Nichtinnehaltung der vorgeschriebenen Kreuzung knüpfte. Haben sie, gleichviel
ob aus Bequemlichkeit, Kopflosigkeit oder aus gewissenloser Gleichgültigkeit,
es unterlassen, dieselbe abzuwenden, hat vielmehr Beyer dieselbe geradezu
herbeigesührt, so kann es nicht darauf ankommen, ob sie, was dahingestellt
bleiben darf, sich in dem entscheidenden Zeitpunkt der voraussichtlichen oder
auch nur möglichen Folgen ihres Verhaltens klar bewußt waren, da die
größere oder geringere Klarheit des Bewußtseins für den Begriff einer frevel-
haften Handlung nicht in Betracht kommt." — Fiskus ist deswegen auch über
den reglementsmäßigen Satz von 20 Thlr. pro Centner nach dem Klage-
antrag zum Ersatz des gemeinen Handelswerthes der beschädigten Güter am
Abgangsorte (? Art. 96) incl. der darauf hastenden Spesen verurtheilt
worden. (12. Sept. 71. M. III. 22; St. III. 50; C. I. 106.)
223 Klägerin verlangt Werthersatz für ein der Berlin-Hamburger
Eisenbahn aufgegebenes Collo. Dasselbe ist bei der Auslieferung in Ham-
burg durch Verwechselung mit einem zufälligerweise in gleicher Weise gemarkten
Collo abhanden gekommen. Die Frachtführerin will den reglementsmäßigen
Ersatz von 20 Thlr. pro Centner leisten, während Klägerin sich diese Be-
schränkung mit Rücksicht auf Art. 427 a. E. nicht gefallen lassen will, da
die Verwechselung auf einer dem dolus gleichstehenden groben Fahrlässigkeit
beruhe. — Zurückgewiesen. „Betreffs der Verwechselung selbst hat die Klägerin
darin Recht, daß sie von den Leuten der Berlin-Hamburger Bahn verschuldet
ist. . Denn gehörige Sorgfalt (nicht die eines Kaufmanns — Art. 282 —,
sondern die eines ordentlichen Frachtführers — Art. 397 —-) hätte sie ver-
mieden. Aber nicht Verschuldung überhaupt, sondern nur dolus und stärkste
Negligenz verbieten, der Eisenbahn die Berufung auf die reglementsmäßige
Beschränkung der Ersatzpflicht. Nur wenn die Handlungsweise ihrer Beamten
und ihrer Leute „böslich" ist, geht sie jener Beschränkung verlustig. Unter
„böslicher Handlungsweise" hat man bei der Berathung des H.G.B's. zu-
nächst den dolus im eminenten Sinne, außerdem auch den „höchsten Grad der
Nachlässigkeit", namentlich aber auch die luxuria, jenen frevelhaften Muth-
willen, verstanden, der zwar die Beschädigung nicht beabsichtigt, sich aber bei
seinem Handeln der damit verbundenen Gefahr bewußt ist und dennoch daS
Handeln nicht ändert. (Vergl. Lutz, Prot. (IX. Theil) S. 4760, 4781,
5112—5115, 5122. Wenn nun auch die Ablieferung des Frachtguts an
den richtigen Destinatär zu den Hauptobliegenheiten des Frachtführers gehört,
so folgt doch daraus nicht, daß Verwechselungen bei der Ablieferung nicht
ohne gröbste Nachlässigkeit begangen werden könnten. Gleichheit der äußeren
im Frachtbrief angegebenen Beschaffenheit 1(2 Ballen oder. 2 Kisten oder
2 Fässer rc.) macht bei Gleichheit der Marken und ungefährer Uebereinstim-
mung des Gewichts namentlich für Eisenbahnen und in Betracht ihrer von
der Klägerin selbst „ungeheuer" genannten Massen von Frachtgut eine Ver-
wechselung nicht zu einer Handlungsweise, welche ohne Weiteres mit dem