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Dr. Kühne,
Frage, soweit mir die einschlagende Literatur bekannt gewor-
den, kaum berührt; die Entscheidungen der Gerichte, auch der
höchsten, wie sie veröffentlicht sind, leiden m. E. theils an Un-
klarheit rücksichtlich des Faktums, sofern nicht genügend zu er-
kennen ist, worauf die Ungewißheit beruht, wegen deren der
Deposition liberirende Wirkung beigelegt ist, theils basiren sie
auf Grundsätzen, denen die Anerkennung nach dem geltenden
Rechte wird versagt werden müssen.
Die Frage ist von großer praktischer Bedeutung; denn die
Fälle, in welchen der Schuldner sich durch gerichtliche Hinter-
legung wegen Ungewißheit seines Gläubigers von seiner Schuld
zu befreien beabsichtigt, gehören keineswegs zu den Seltenheiten.
Hierdurch dürfte die Besprechung der Frage gerechtfertigt sein,
selbst wenn das theoretische Interesse, welches sie bietet, ein so
geringes sein sollte, daß daraus das Schweigen der Rechtslehrer
über dieselbe erklärt werden müßte.
§ 2.
Die Ungewißheit des Gläubigers d. h. der Zustand, in
welchem der Schuldner nicht zu erkennen vermag, wer sein
Gläubiger ist, kann aus verschiedenen Ursachen entspringen:
1) daraus, daß dem Schuldner ein bestimmter Gläubiger
überhaupt nicht gegenüber steht, weil es noch nicht gewiß ist,
wer der Gläubiger werden wird, wie z. B. wenn die Erbschaft
des verstorbenen Gläubigers noch nicht angetreten ist, wenn die
Bedingung, unter welcher die Forderung einer Person als Ver-
mächtniß zugewiesen ist, noch nicht eingetreten ist u. s. w. —
Eine Ungewißheit dieser Art wollen wir als objektive be-
zeichnen.
Die Ungewißheit des Gläubigers kann aber auch
2) der Art sein, daß ein bestimmter Gläubiger zwar exi-
stirt, aber von dem Schuldner nicht erkannt wird,