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Gibt cö noch strieti juris Obligationen rc.
siiture des justinianischen RechtS abgekommen sind/ z. B.
die Sklaverei/ der Concubinat, die legitimatio per curiae
dationem — so muß man doch schon im Geiste der Reception
an jener Regel festhalten. Deßhalb ist nun vorerst hier zu
untersuchen, wie es mit den strieti juris obligationes im
justinianischen Rechte steht? Sofort wird freilich noch eine
andere Betrachtung nöthig seyn/ nämlich die, ob durch die
große Veränderung, die im Systeme des Obligationenrechts/
besonders des Vertragsrechts in Deutschland durch Herkommen
und Rechtssitte vorgcgangcn ist, die Bedeutung der strieti
juris obligationes, die sich nur durch den Gegensatz zu den
bonae fidei obligationes und dazu nicht mehr im Zusammen-
hänge des ursprünglichen Gedankens der Rechtsentwicklung,
worauf jener Gegensatz beruht, darstellt, sondern nur in
einzelnen Rechtswirkungen im justinianischen Rechte noch
sichtbar wird, nicht etwa gänzlich untergegangen sey?
§. 2.
In den Pandecten, im Codex, ja auch in den Institutionen
begegnen uns so vielfach Rechtssätze, die auf den Unterschied
der strieti juris und bonae fidei negotia zurückgeführt sind,
daß man gar nicht zweifeln kann, dieser Unterschied sey in
der That noch im justinianischen Rechte wirksam. Alles
concentrirt sich daher in die Frage: was war dieser Unter-
schied ursprünglich, und was ist davon im justinianischen
Rechte geblieben? Der erste Theil dieser Frage dürfte
schwerlich zur vollen Befriedigung gelößt werden können,
denn die Quellen sind nicht reich genug dazu; die neueren
Schriftsteller, auch der guten französischen Schule, z. B.
Cujacius, d'Avezan, haben sich ernstlich dahin nicht ein-
gelassen — und die Neuesten sind gewöhnlich zu kühn. Im
Allgemeinen halten wir cs mit Mühlenbruch J)t die erste
Entwicklung des Rechts nach Grundsätzen vor dem Richter
ist, den Bedürfnissen des Volkes gemäß, einfach, fest und
i) Heidelberger Jahrbücher 1821 S- 47.