Full text: Staatswissenschaftliche und juristische Litteratur (Jg. 2, Bd. 2 (1795))

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daß die Eingebohrne unaufhörlich in ihrem Staate bleiben sol¬ 
len. — Die Einwürfe des Hrn. Assessor Erhard, welche 
H. H. in der Note anführt, scheinen Rez. sehr treffend und 
durch die Gegenerinnerungen nicht entkräftet zu seyn. 
Noch ein Punkt ist von Rez. nicht berührt. H. H. sagt 
nehmlich S. 15. „es ist unmöglich, daß eine bürgerliche 
Gesellschaft sicher bestehe, wenn die in ihr Gebohrnen nach 
ihrem Belieben heraustreten dürfen." Rez. ist dieser Mei¬ 
nung nicht. Das Recht jedes Eingebohrnen, aus ihrem 
Staate zu treten, macht das Bestehen desselben keinesweges 
unmöglich: blos die Ausübung dieses Rechts, das wirk¬ 
liche Hinaustreten aller Mitglieder würde diesen 
Staat aufheben. Und hieraus folgt weiter nichts, als dieß: 
Jeder empirische Staat soll und muß dahin arbeiten, daß kei= 
nes seiner Mitglieder zu dem Eutschluß, sein Auswanderungs¬ 
recht auszuüben, bewogen werde — oder mit andern 
Worten — er soll und muß sich praktisch auf einen Ver¬ 
trag gründen, d. i. sich so organisiren und die Staatsge¬ 
schäfte so verwalten lassen, daß dem Rechte Aller wie Eines 
Genüge geschieht und er also der Zufriedenheit (des Consenses) 
seiner Mitglieder versichert seyn kann und nicht zu befürchten 
hat, daß ihn so leicht einer oder gar Alle verlassen werden.: 
Auf diese Weise erhellt zugleich, daß das ohnedies unverlier¬ 
bare Auswanderungsrecht auch darum nicht zernichtet werden 
darf, weil es für den Staat das kräftigste Motiv enthält, sich 
zu einer wahrhaft beständigen und unsterblichen, d. h. gerech¬ 
ten Gesellschaft zu formen, auf einen praktischen Vertrag sich 
zu gründen. Kurz: man mag die Sache nehmen, von wel¬ 
cher Seite man will, so kann nach Rez. Einsicht kein Staat 
das Recht haben, seine Eingebohrnen an sich zu fesseln. Denn 
alle empirische Staaten sind entweder gerecht oder unge¬ 
recht. Ein gerechter Staat hat jenes Recht nicht; sonst 
müste er die Gewalt haben, seine Mitglieder zu inneren 
Pflichten zu zwingen: ein ungerechter Staat hat es eben 
so wenig, sonst müste man ihm die Macht einräumen, seine 
Mitglieder anzuhalten, daß sie in der Ungerechtigkeit blieben 
und dieselbe, wenigstens äußerlich, beförderten. 
Ueber 
— 
JNIVERSIT 
Max-Planck-Institut für 
UNIVERSITAT 
DFG 
europäische Rechtsgeschichte 
TÜBINGEN
	        
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