Full text: Allgemeine juristische Zeitung (Jg. 3 (1830))

Miscellaneen. 
Zur Lehre von der Doli capacitas und 
Incapacitas des Impubes. 
Bekanntlich behandelt das Römische Recht die Frage, 
ob ein Impubes doli capax sey, oder nicht, als eine 
reinfactische Frage, die von der Untersuchung des Rich¬ 
ters über den Grad der geistigen Entwicklung des Kin¬ 
des abhängt. Nur das Kind unter sieben Jahren, der 
Infans, gilt unbedingt für Doli incapax, so daß diese 
eigentliche Kindeszeit in ihrer Unschuld vom Recht voll¬ 
kommen anerkannt und nicht durch richterliche Inquisi¬ 
tionen gestört und gefährdet wird. — Ueber die Art 
und Weise, wie die Unschuld der ältern Kinder über 
sieben Jahre nöthigenfalls vom Richter erprobt werden 
soll, enthält das Römische Recht, soweit es uns erhal¬ 
ten ist, keine weitere Anleitung, sondern überläßt alles 
der eignen Einsicht des Richters. Bei dieser Lage der 
Sache dürfte eine Erzählung, die sich in der Einleitung 
zum zweiten Bande der Kinder- und Haus=Märchen 
der Brüder Grimm (2te Aufl., Berlin 1819) „Kin¬ 
derwesen und Kindersitten" S. VII befindet, selbst 
nicht ohne praktischen Werth seyn. Auf jeden Fall kann 
sie zur anmuthigen Erläuterung des oben bezeichneten 
Unterschiedes namentlich für Institutionen Vorlesungen 
dienen. Es heißt dort: 
„Ulrich Furterer sagt im Lanzilot Str. 49: „„,als 
„„— kinden tuot gezemen, den man beut einen apfel 
„„rot, lazzen daz gold in aus den henden 
„„nemen."" — Dieß bezieht sich vielleicht auf die 
„Sage von dem Brüderchen, das mit seinem Schwe¬ 
„sterchen Schlachtens spielte, es, wie man den Schwei¬ 
„nen thut, in die Gurgel schnitt und tödtete. Ein 
„alter Mann zu Franecker, wo es der Sage nach ge¬ 
„schehen ist, gab den Rath, der oberste Richter solle 
„einen schönen rothen Apfel in die eine Hand 
„nehmen, in die andere einen Rheinischen Gul¬ 
„den, das Kind dann zu sich rufen und beide Hände 
„gleich gegen dasselbe ausstrecken; nähme es den Apfel, 
„so solle es ledig erkannt werden, nähme es aber den 
„Gulden, so solle man es tödten. Es geschah, das 
„Kind aber ergriff lachend den Apfel, und ward von 
„„aller Strafe ledig erkannt." 
Ebendort wird auch der Sage von Moses gedacht 
daß er als Kind den Pharao durch Hinunterwerfen sei¬ 
ner Krone erzürnt habe, jedoch dadurch, daß er größere 
Max-Planck-Institut fü 
Staatsbib 
zu Berlin 
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Freude an der Glut, als am Golde gezeigt, in sei¬ 
ner Kindesunschuld erkannt worden sey. 
Mit Recht aber darf wohl angenommen werden, 
daß wenn ein Kind bereits im Stande ist, die Bedeu¬ 
tung des Geldes, als der Quelle künftiger Genüsse 
und des Princips des bürgerlichen Verkehrs in dem 
Grade einzusehen, daß es darüber den an sich einladen¬ 
den gegenwärtigen Genuß aufgibt, es aus seiner schönen 
unschuldigen und befriedeten Kindheitswelt bereits her¬ 
ausgetreten, und der Welt der Schuld und des Gesetzes 
verfallen sey. Das Privilegium des noch nicht vollendeten 
siebenten Jahres muß übrigens gegen die ausnahms¬ 
weise vielleicht traurigen Ergebnisse solcher und ähnli¬ 
cher Forschungen sicher stellen. Oder sollten keine Bei¬ 
spiele eines so frühen Austrittes aus der eigentlichen 
Kinderwelt vorkommen? — Bekanntlich sieht das Rö¬ 
mische Recht die Pubertas als die Zeit der befestigten 
Doli capacitas an, so daß zu Gunsten des Pubes wohl 
kaum ein Beweis der Doli incapacitas zulässig wäre; 
es sey denn, daß ein Caspar Hauser zur Zeit sei¬ 
nes ersten Eintrittes in die Welt in Frage stände. Es 
wäre zu wünschen, daß Psychologen und Juristen über 
die Doli capacitas und Incapacitas im Einzelnen häu¬ 
fige Untersuchungen anstellten und ihre Ergebnisse mit¬ 
theilten. — Referent gedenkt hier noch einer Erfahrung 
aus seinen Knabenjahren. Es hatte nämlich ein Bru¬ 
der, wie verlautete, im Zorn, nicht im Spiel, seine 
Schwester mit dem Brodmesser erstochen. In der Kna¬ 
benwelt, die hiedurch nicht wenig erschreckt war, ging 
die Sage, daß jener Knabe, sobald er erwachsen sey, 
seine Strafe empfangen werde; was uns ganz ange¬ 
messen schien, wenn wir gleich nicht ohne Grauen an 
den bis dahin unter dem Fluche der That und der zu 
erwartenden Strafe umherwandelnden Knaben denken 
konnten. 
Kurze Nachrichten von neuen juristischen 
Schriften. 
4) Beiträge zur Kenntniß des Schlesischen Provin¬ 
cial Rechts für Geschäftsmänner. Breslau, bei Leuckart, 1830. 
- Dem Ref. war an diesen Beiträgen besonders auffallend der 
Geist, in dem sie unternommen sind. Selten wird man bei einem 
Verfasser einen solchen Haß und Widerwillen gegen seinen Gegen¬ 
stand erblicken, als bei dem Herausgeber dieser Beiträge. Jedoch 
ist dieser Widerwille auch wiederum nichts Besonderes, sondern nur 
der, an welchen bekanntlich die s. g. Preußischen Geschäftsmänner
	        
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