Full text: Allgemeine juristische Zeitung (Jg. 3 (1830))

Hieraus erhellt, daß die Regel zu Gunsten der Käufer, 
um sie nicht nur gegen absichtlichen Betrug der Verkäufer, 
sondern auch gegen unabsichtliche Läsion zu schützen, aufge¬ 
stellt war, und daß sie daher auch im Zweifel stets zu 
Gunsten dieser Käufer interpretirt werden muß. Jeder 
Verkäufer ist zur bestimmten und förmlichen Anzeige aller 
Fehler und Krankheiten seines zu verkaufenden Gegenstandes 
verpflichtet, und kann sich im Fall der unterlassenen Anzeige 
nicht mit seiner Unwissenheit entschuldigen, da er die zu ver¬ 
kaufende Sache selbst kennen muß. 
Diese Regel leidet nun aber eine natürliche Ausnahme, 
wenn nämlich der Fehler so offenkundig ist, daß eine förm¬ 
liche Anzeige desselben als völlig überflüssig und thöricht zu 
betrachten wäre. Denn da durch jene Bestimmung nur be¬ 
zweckt wird, daß der Käufer nicht hintergangen werde, so 
tritt in solchen Fällen eine natürliche Beschränkung ex ra¬ 
tione legis ein. Daher heißt es L. 1. §. 6. D. e. t.: 
„Si intelligatur vitium morbusque mancipii, ut 
plerumque signis quibusdam solent demonstrare vi¬ 
tia, potest dici, edictum cessare; hoc enim tan¬ 
tum intuendum est, ne emptor decipiatur." 
Wie jede Ausnahme ist aber auch diese strictae inter¬ 
prètationis, und zwar um so mehr, da, wie oben gezeigt 
worden ist, die ganze Regel ausdrücklich zu Gunsten des 
Käufers aufgestellt worden ist, und deshalb die dieser nach¬ 
theilige Ausnahme so sehr, wie irgend möglich, beschränkt 
werden muß. 
Dieses macht es jedoch nicht nothwendig, daß das Feh¬ 
lerhafte und Krankhafte, welches keiner Pronunciation bedarf, 
vor den Augen und vor dem ersten Blicke offen aufgedeckt 
liegen, sondern es genügt auch, wenn es sich äußerlich nur 
durch untrügliche Zeichen zu erkennen gibt; wie es denn auch 
in der obigen Stelle heißt, „ut plerumque signis quibus¬ 
dam solent demonstrare vitia." — Aber freilich müssen 
diese Signa so untrüglich und so allgemein bekannt seyn, daß 
es einerlei ist, ob man die Fehler oder die Krankheit unmit¬ 
telbar mit eignen Augen, oder nur durch das Medium die¬ 
ser Zeichen wahrnimmt. Dieses folgt mit Nothwendigkeit 
aus der Ratio der ganzen Regel und ihrer Ausnahme. Der 
Käufer soll nicht hintergangen werden; darum die Anzeige. 
Diese ist unnöthig, wo mit Sicherheit angenommen werden 
darf, daß der Käufer schon selbst den Fehler oder die Krank¬ 
heit sieht, und daher nicht erst darauf aufmerksam gemacht 
zu werden braucht. Soll angenommen werden, daß der 
Käufer auch in den bloßen Kennzeichen des Fehlers oder der 
Planck-Instit 
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Krankheit diese selbst bereits wahrgenommen, so müssen dem¬ 
nach diese von einer solchen Beschaffenheit seyn, daß bei dem 
Verkäufer über die gehörige Einsicht des Käufers in das 
Daseyn der Mängel nicht der geringste Zweifel obwalten 
kann. Findet auf irgend eine Weise das Gegentheil statt, 
so wird der Verkäufer zur Pronunciatio verpflichtet. Die¬ 
ses erhellt insbesondere auch daraus, daß die Verkäufer zum 
palai recte dicere und pronunciare verpflichtet werden, 
welches Recte aber, wie überall, so auch hier, die volle 
bona fides und das Arbitrium boni viri involvirt. 
B. Diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall ange¬ 
wandt, lassen keinen Zweifel übrig, daß der Verkäufer dar¬ 
aus dem Käufer verhaftet ist, daß er den Fehler des Krip¬ 
pensetzens, vorausgesetzt, daß dieser, als zur Zeit des Con¬ 
tractes vorhanden, nachgewiesen werden kann, ihm nicht an¬ 
gezeigt hat. Dieß erhellt aus Folgendem: 
1. Daß der Fehler des Krippensetzens zur Zeit, wo das 
Pferd diese Untugend nicht begeht, nur aus Zeichen erkannt 
zu werden vermag, kann die etwaige Freiheit des Verkäu¬ 
fers von der Pronunciations Pflicht an sich nicht aufheben 
und ihn zur Pronunciation verbindlich machen, sobald nur 
die obigen Erfordernisse dieser Zeichen vorhanden sind. 
2. Daß die Zeichen des Krippensetzens sich im Maule 
und an den Zähnen des Pferdes befinden, kann ebenfalls 
nicht als ein wesentlicher Mangel dieser Zeichen angesehen 
werden. Denn da es in der Notorität beruht, daß ein zu 
kaufendes Pferd nicht bloß seiner äußern Gestalt, sondern 
auch der Beschaffenheit seines Gebisses nach besehen werden 
muß; so braucht nach dem Begriff des Recte pronunciare 
der Verkäufer diejenigen Mängel nicht anzugeben, die sich 
jedem sichtbar an den Zähnen und überhaupt im Maule und 
Gebisse des Pferdes zeigen. Dieses würde nur da eine Aus¬ 
nahme leiden, wo er mit einem so völlig unerfahrenen Men¬ 
schen zu thun hätte, daß derselbe dem Pferde ins Maul zu 
sehen unterließe, und der Verkäufer solches bemerkte; in wel¬ 
chem Falle ihn offenbar die Pflicht zur Pronunciation obläge. 
(Schluß folgt.) 
Kurze Nachrichten von neuen juristischen 
Schriften. 
38) Lehrbuch des Stadt- und Bürgerrechts der deutschen Bun¬ 
desstaaten. Von Dr. Ernst Moritz Schilling. 2 Bde. Leip¬ 
zig 1830. 8. XVI. 366. VIII. 432. 
Die Behauptung, daß eine wissenschaftliche Darstellung des Stadt¬ 
und Bürgerrechts nicht im Geringsten für etwas überflüssiges in der
	        
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