Full text: Annalen der deutschen und ausländischen Criminal-Rechts-Pflege ([3.F.] Bd. 4 = Jg. 1838, Bd. 1 (1838))

(wenn dieses gegenseitig festgehalten wird,) nennen wir 
gerecht; und somit erscheint dieses Princip, und das 
der Gerechtigkeit, als Eines und dasselbe. Nun han= 
delt kein Mensch mit Wissen und Willen zu seinem 
eigenen Schaden; es liegt folglich im Menschen die ur= 
sprüngliche Anforderung gegen den Andern das Gleiche 
zu thun. Diese Anforderung an den menschlichen Willen 
weil ursprünglich, trägt zwar das Gepräge der Noth¬ 
wendigkeit, schließt aber den Zwang aus: denn der 
Mensch kann auch das Gegentheil thun, und bethätigt 
hierdurch die Freiheit seines Willens. Gleichwohl ver¬ 
mag er durch letztere die Anforderung selbst nicht auf¬ 
zuheben, sondern muß sie anerkennen, d. h. sich für 
verpflichtet erkennen. Und so entwickelt sich aus 
dem Princip der Gerechtigkeit zuförderst die Pflicht. 
Da die Pflicht aber gegenseitig ist, so erfährt auch Je¬ 
der vom Andern, (wenn dieser seiner Pflicht treu bleibt, 
die Gewährung der Gleichachtung als Recht. Es folgt 
aber hieraus, daß das Recht kein ursprüngliches und 
absolutes Verhältniß ist, *) sondern ein abgeleitetes 
und relatives, indem Pflicht und Recht correlata sind 
die sich gegenseitig bedingen. Das wahrhaft Ursprüng¬ 
liche und Absolute ist der Grundbegriff der Gleichheit, 
als Princip der Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit wägt 
auf gleicher Schale Recht und Pflicht ab, und gestattet 
nur da eine Rechtsgewährung, wo eine Pflichtleistung 
*) Allerdings giebt es ein Recht überhaupt, (Jus) im 
objectiven und absoluten Sinne, z. B. in Rechts-Wissenschaft, 
Rechts=Pflege. Hier bedeutet aber das Wort Recht theils 
die Sammlung von Gesetzen und ihre Künde, theils den 
Richterspruch nach diesen Gesetzen. Genau genommen 
ist also auch hier der Begriff des Rechts (Jus) relativ, indem 
er sich auf die Gesetze bezieht. 
o 
Staatsbibliothek 
Max-Planck-Institut für 
zu Berlin
	        
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