Full text: Archiv des Criminalrechts (N.F. Jg. 1845 (1845))

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der bisherigen Straftheorie. 
gebunden, und verändert seine Natur, wird zur Rache 
oder zur Connivenz, wenn die durch das Vergeltungsmaß 
bestimmte Quantität überschritten wird. 
Es liegt aber in dem Begriffe des Maßes, daß die 
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Quantität einen gewissen Spielraum habe, innerhalb 
dessen sie sich vermehren oder verringern kann, ohne den 
qualitativen Begriff, der sich in ihr verwirklicht, auf¬ 
zuheben. So bleibt das Eis bis zu null Grad Kälte 
hin immer noch Eis, das Wasser bis zu 80 Grad 
Wärme hin immer noch Wasser, und geht erst dann 
in Dampf über. Die Heerde bleibt immer noch Heerde, 
wenn ich von den hundert Stück Vieh, welche dieselbe 
vielleicht jetzt bilden, eines, und noch eines, und aber= 
mals eines hinwegnehme. Aber überall tritt endlich 
ein Punkt ein, wo die Quantität nicht mehr verändert 
werden kann, ohne zugleich die Qualität zu ändern. 
So bleibt auch die Strafe immer noch wahre Ver= 
geltung, d. h. gerechte Strafe, mag nun die Quan¬ 
tität des sinnlichen Leidens um Etwas vermehrt oder 
verringert werden. Das empfindet das Volksbewußt¬ 
seyn sehr wohl. Niemand wird behaupten, daß die 
Strafe des Verbrechers eine solche seyn müsse, zu der 
man nicht mehr das Geringste hinzufügen, oder von 
der man nicht das Geringste mehr abnehmen könne, 
ohne sofort eine Ungerechtigkeit zu begehen. Natürlich 
ist dies anders, wenn einmal ein positives absolut be¬ 
stimmtes Strafgesetz bereits vorhanden ist; in allen 
übrigen Fällen aber wird es dem Gerechtigkeitsbegriffe, 
dem Vergeltungsbewußtseyn der Nation, ziemlich in¬ 
different seyn, ob irgend ein Verbrecher auf 1002 oder 
auf 1003 Tage Zuchthaus verurtheilt werde. Aber das 
Vergeltungsmaß ist darum nicht weniger im Volksbe¬ 
wußtseyn vorhanden. Es tritt auch hier ein Punkt 
Vonage 
Staatsbibliothek 
Max-Planck-Institut für 
zu Berlin
	        
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