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meinen Leben, wo er unbekümmert um die weitern Gräͤn¬
zen der Möglichkeit, seinen Verstand nur bis an die enge=
ren Schranken des Wahrscheinlichen streifen laͤßt, al¬
bern, abgeschmackt, lächerlich nennt. Aber eben
diese nackte Denkbarkeit, wenn auch der gemeine Verstand
sie noch so albern fände, soll eigentlich dem Richter hin¬
reichen, nicht den Verbrecher loszusprechen; nicht Mitleid
mit ihm zu tragen; nicht, ihm die That moralisch gelin¬
der zuzurechnen; wohl aber, das Richtschwert von seinem
Halse zurückzuziehn, und die in der Finsterniß des Irdi=
schen tappende unsichere Hand der menschlichen Justiz
nicht leichtsinnig an ein Gut des Verbrechers zu legen,
welches der Mensch dem Menschen rauben, aber nimmer
wiedergeben kann, und von welchem es in der Theorie
des Strafrechts noch so problematisch ist, ob der Mensch
gegen den Menschen es je verwirken mag.
§. 7.
Beschluß der §. 4. angefangenen Betrachtung.
Es würde ein Buch erfordern, um diesen Satz ge¬
gen alle die Argumente zu verfechten, womit die politi¬
sche Aengstlichkeit der Praxis und das verjaͤhrte Vorur¬
theil für die Unumgänglichkeit der Hinrichtungen ihm
entgegentritt. Aber die Wahrheit seines Inhalts: daß
niemand hingerichtet werden muß, wo es nur noch nach
Verstandes= und Rechtsgesetzen denkbar ist, daß er das
Leben nach dem Gesetz nicht verwirkt habe, predigt das
Gefühl jedem Menschen, welcher so viel Einbildungskraft
besitzt, als nöthig ist, um es zu wecken, wo keine Bege¬
benheit es anregt. Ist es nicht im hoͤchst moͤglichen, er¬
reichbaren Grade gewiß, daß die gefundene Leiche die des
Vermißten war; so ist es denkbar, daß er lebt. Was
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