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eine Anleitung und nicht eine unabänderliche Norm seyn
sollen, wodurch das Gesetz seine Zwecke erstrebt.
Wenn wir in dem Vergantungs=Prozesse gewisse An=
sichten und Grundsätze als die eigentlichen Tendenzen
der Formular=Verfügungen des Gesetzes anerkennen müssen,
welche wir in der ersten Abtheilung dieses Aufsatzes zu
entwerfen versucht haben, so läßt sich der unerbittliche
Rullitätsgrundsatz der franz. Prozedur anders nicht recht¬
fertigen, als indem man annehmen würde, daß jene
Zwerke des Gesetzes nicht erreicht werden könnten, sobald
nur irgend eine der aufgegebenen Förmlichkeiten in irgend
einem ihrer Elemente verletzt oder übergangen wäre.
Diesen Beweis anzutreten, wird wohl schwerlich jemand
unternehmen wollen.
Dann aber ist diese Formenherrschaft, dieses Nullitäts¬
prinzip eine nutzlose und unberechtigte Despotie, und es
ist dringend und vernünftig, der Einsicht und der richter¬
lichen umfassenden Erkennung das Urtheilsrecht wieder¬
zugeben, welches bis hierhin einzig der Förmlichkeit und
dem Buchstaben zugehört hat. Wir schlagen daher vor
bei allen Fragen über das Nullitätswesen in dieser Pro¬
zedur dem Richter nicht mehr eine servile Unterwürfigkeit
unter den Buchstaben der Form zum Gesetze zu machen,
sondern, ihn anzuweisen, daß er mit freier und umfassen=
der Untersuchung des Falles einzig dahin zu achten habe,
ob der durch das Gesetz in der verletzten Stelle intendirte
Grundsatz im Allgemeinen durch die beschuldigte Prozedur
beobachtet worden sey, und hierauf im Bejahungsfalle
ihre Gültigkeit zu erkennen. Das sey nicht die Frage,
ob in dem Zahlungsbefehl der Vorname des Schuldners
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