Full text: Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde (Jg. 1843, Bd. 1 (1843))

Berger: üb. den §. 7 des a. b. G. B. 
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Wirklichkeit nie erreichen, erschöpfen und wo daher die das Gesetz 
überwuchernde Wirklichkeit in ihrer Mannigfaltigkeit und Fülle durch¬ 
bricht, da erscheint das Gesetz lückenhaft. 
Diese Lücken müssen nun ausgefüllt werden. Allein ihre Aus¬ 
füllung geschieht nicht durch abstracte Formeln, die fern über dem 
festen Boden der Wirklichkeit ohne Halt= und Stützpunct schweben; 
sondern diese Ergänzung muß auf demselben Wege geschehen, auf dem 
das Gesetz selbst entstanden ist, sie muß sonach von dem im Leben 
daseienden Rechte, von seiner Anschauung ausgehen. Das 
allgemeine Abbild dieser Anschauung findet sich schon im Gesetzsysteme, 
denn sein Rahmen umfaßt die ganze Rechtswirklichkeit. Die Ergänzung 
hat daher nur die Aufgabe, die besondere, fehlende Einzelnheit aus 
der Wirklichkeit in den Gesetzesrahmen überzutragen. Die gesetzer¬ 
gänzende Thätigkeit des Richters bemächtigt sich daher vor Allem des 
Begriffes, wie er sich im Gesetzsysteme verkörpert vorfindet, sie 
muß z. B. das Erbrecht, wie es im österreichischen Rechtssysteme 
sich verwirklicht hat, in ihr Bewußtsein aufnehmen, denn dieses 
Erbrecht eben ist derselben Wirklichkeit, demselben Leben entnommen, 
welches den zu beurtheilenden Fall aus seinem Schooße geboren hat. 
Der Begriff eines Rechtsinstitutes aber ist nicht etwa die einzelne 
Definition, von der gerade zufällig ausgegangen wird. Erst die ganze 
Fülle eines Rechtsinstitutes ist sein Begriff, erst das ganze Erbrecht. 
wie es im österreichischen Rechte aufgefaßt wird, ist der Begriff 
des österreichischen Erbrechtes und wer sich blos an die Defi¬ 
nition des Erbrechtes, wie sie im §. 532 des a. b. G. B. aufgestellt 
ist, halten wollte, der hätte vom österreichischen Erbrechte gewiß kei¬ 
nen Begriff. Dasselbe Rechtsinstitut läßt ja in den verschiedenen 
Phasen seiner Entfaltung mannigfache Definitionen zu; allein keine 
derselben hat die Bedeutung, den Begriff zu erschöpfen, jede gibt nur 
ein Moment des Begriffes, und erst die ganze Begriffsentwicklung, 
innerhalb deren auch die Scala der sich übereinander reihenden Defi= 
nitionen von selbst ausgeprägt hervortreten wird, ist der wirkliche 
Begriff — die Idee. Jndem nun der Richter von der Jdee des 
besondern Rechtsinstitutes, dessen Formen sich „mit Hinsicht auf die 
sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände" (Worte des 
§. 7 a. b. G. B.) in dem zu entscheidenden Falle ausgeprägt finden, 
Max-Planck-Institut für
	        
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