Hauptblatt.
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§. 2.
Die zwei Klagen, welche in diesem Aufsatze besprochen werden
sollen, erscheinen theils wegen der hohen und durchgreifenden Wich=
tigkeit ihres Gegenstandes, theils ihrer wechselseitigen Beziehung
wegen, welche einen Widerspruch zwischen Beiden zu bedingen scheint,
als besonders beachtenswerth. Die Erste geht im Wesentlichen dahin,
daß so viele Inquisiten, welche nach einer unbefangenen
und wohlbegründeten Meinung des sie kennenden Pub¬
licums wirklich schuldig sind, vo nunseren Strafgerich¬
ten dennoch straflos entlassen werden; in welcher Straf¬
losigkeit für die Entlassenen sowohl, wie auch für andere Bösgesinnte
eine zu nahe Aufforderung liegt, neue Verbrechen zu begehen, wodurch
der bessere Theil der Bürger sich in seiner Rechtssicherheit gefährdet
fühlt. Es bedarf für die geehrten Leser dieser Zeitschrift wohl kaum
der Erklärung, daß hier weder von den seltenen Fällen die Rede sein
kann, in welchen bei je der Gesetzgebung und bei je dem Strafver=
fahren mancher Schuldige dennoch straflos durchkommen muß, noch von
denjenigen, wo das ungegründete Vorurtheil des vorschnell absprechenden
Publicums jemanden für schuldig erklärt, den die Gerichte nach gründ=
licherer Untersuchung und reiferer Beurtheilung lossprechen müssen.
Es handelt sich vielmehr hier nur von häufiger vorkommenden
Fällen von Lossprechungen — fast durchgehends Entlassungen aus
Mangel an Beweisen —, bei welchen das Publicum die stärksten
objectiv giltigen Gründe hat, die Entlassenen für schuldig zu
halten. Daß eine solche Klage nicht selten vorkomme, dürfte wohl
kaum jemand, der unbefangen beobachten und das Resultat seiner
Beobachtung aufrichtig aussprechen will, in Abrede stellen. Nur mag
der Eine mehr, der Andre weniger Gelegenheit finden, solche Erfah¬
rungen zu sammeln, da in einigen Provinzen diese Klagen häufiger
vorkommen, als in den anderen. So sind dieselben z. B. im lombar=
disch=venetianischen Königreiche mehr an der Tagesordnung als in
den deutschen Provinzen, und man kann in jenem Königreiche gar oft
die Aeußerung hören, daß unser Strafgesetzbuch zwar für deutsche
Inquisiten ganz gut sein mag, daß es aber für die italienischen, welche
im Läugnen viel hartnäckiger und in der Entkräftung der gegen sie strei=
tenden Beweismittel viel findiger sind, als die deutschen (so denken
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