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Rede für denselben.
Seneca wird getadelt, weil er die ver-
dammliche Standhaftigkeit des Cato verschwen-
derisch gelobt hat. Er soll nur selbst lobens¬
werth, und als ein unuberwindlicher Weise
gestorben seyn. Unterdessen ist es gewiß, daß
man allhier diesen grossen Mann so wenig als
den Sokrates, dem Cato entgegen stellen kan.
Niemand hat mehr, als Seneca, den Selbst¬
mord gelobet. Niemand hat sich auch, sol¬
chen bey Gelegenheit auszuuͤben, mehr erkläͤ¬
ret. Cesar hat zwar dem Cato nicht befohlen,
sich selbst zu entleiben. Alleine, Seneca haͤtte
gleichfalls die Gewalt seines Tyrannen erwar¬
ten, und ihm sagen koͤnnen, daß er nicht sein
eigner Scharfrichter werden wollte: denn die¬
ses soll allzeit unerlaubt gewesen seyn. Es ist
auch nicht erwiesen worden, ob es dem Seneca
ganz unmoͤglich gewesen sey, dem moͤrderischen
Befehle des Nero zu entgehen? Allein er hielt
für thunlicher, durch die Eröfnung der Adern
sich selbst das Leben zu nehmen. Und als sein
redliches Herz nicht so gleich erkalten wollte:
so wurde dieser unuͤberwindliche Weise von der
Ungeduld überwunden, und sich in einem
Dampfbade zu erstiken gezwungen. Er hatte
noch vorher mit grosser Freude vernommen, daß
ihm seine geliebte Paullina auch im Tode Ge¬
sellschaft leisten, und aus zärtlicher Liebe für
einen so würdigen Gemahl, sich das Leben un¬
geheissen nehmen wollte: welches allein uns
gnugsam üͤberfuͤhren kann, daß der weise Ge¬
neca den Selbstmord für etwas sehr lobliches
gehalten hat.
Weil
Max-Planck-Institut für