Full text: ¬Die Agrarfrage der Gegenwart (2)

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W 
XIV. 
Piberalismus, Capitalismus 
und christlich-conservative Sociallehre. 
Wir haben gesehen, wie ganz besonders der 
Liberalismus die Befreiung des Bauernstandes aus 
dem Feudalwesen betrieb und haben bei jener Gelegen 
heit (S. 21) schon gesagt, daß dem Liberalismus 
kein besonderer Dank dafür gebühre, weil er die 
Bauern blos befreit hat, um sie aus der feudalen 
in die capitalistische Hörigkeit zu bringen. 
Der Bauer sollte nicht länger dem Adel, sondern dem 
dritten Stand, der capitalistischen Bourgeoisie 
frohnen. Dies war — bewußt oder unbewußt  
der Grundgedanke des Liberalismus, als er über ein 
halbes Jahrhundert hindurch (1789—1849) mit der 
Feder, auf der Rednerbühne und auf den Barrikaden 
für die Freiheit des Bauernstandes eintrat. Wir 
haben diese Behguptung jetzt zu beweisen und zu 
zeigen, daß in der That der Bauer aus der adeligen 
Zehnt= und Frohnhörigkeit in die Zinsknechtschaft des 
capitalistischen Bürgerthums gerathen ist. Wir werden 
diesen Beweis in der Art führen, daß wir zunächst 
in diesem Capitel die allgemeinen Beziehungen des 
Bauernstandes zum Liberalismus, seiner Weltan 
schauung und seinem Rechtssystem kennzeichnen, 
worauf wir im XV. und XVI. Capitel die einzelnen 
Abschnitte der bäuerlichen Existenz näher betrachten 
und die socialpolitischen Gefahren des modernen Agrar 
rechts zu schildern gedenken.*) 
*) Wenn wir vom Liberalismus sprechen, so mei 
nen wir damit selbstverständlich nicht die einzelnen Anhänger 
desselben, sondern die Gesammtheit der als „liberal" und
	        
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