Kleinere Beiträge zum materiellen Strafrecht.
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stellt sich die Behauptung entgegen: die Bigamie sei nicht, wie die
Ehe ein Verhältniß, das rechtliche Existenz habe; werde das bigamische
Verhältniß fortgesetzt, so sei das Ehebruch *2) — das Verbrechen selbst
aber werde doch nur durch die Eingehung der zweiten Ehe begangen.
In dieser allein liege das Verbrechen, das also nicht erneuert werde,
sondern nur in seinen Folgen fortdauere; es sei dann der Fall der
selbe, wie etwa beim Diebstahl, wo die Verjährung auch vom Augen
blick der Entwendung laufe, wenn gleich der Dieb die gestohlene Sache
behalten habe."3
So schroff sich nun die beiden Deductionen gegenüberstehen, so
ist doch jede eine ganz folgerechte und an sich betrachtet unanfechtbare;
insofern nämlich jede auf einer anderen Auffassung der Bigamie und
des Instituts der Verjährung in Strafsachen beruht. — Der Raum
gestattet nicht, die Entwicklung des Begriffes der Bigamie durch alle
Nuancen, welche dieser anzunehmen fähig ist, und durch alle Phasen,
welche jene durchgemacht,"*) zu verfolgen; indeß kann man wohl sagen,
daß es zwei Grundanschauungen der Bigamie gibt, deren eine auf die
Verletzung eines Privatrechtes — die andere auf die Verletzung eines
öffentlichen Interesses mehr Gewicht legt. Die Lex Julia de adul
teriis war entschieden eine politische Maßregel; sie war das Resultat
der ganz richtigen Betrachtung, daß der furchtbar um sich greifenden
Auflösung aller ehelichen Bande entgegengewirkt werden müsse, wenn
nicht der Staat selbst alle Lebenskraft verlieren sollte; es war ein im
Interesse nicht der Sittlichkeit, sondern des Staates erlassenes Gesetz.
Gerade für die Bigamie galt diese Rücksicht aber nicht Die Bigamie
enthält doch immer noch eine Anerkennung der Segnungen ehelichen
Beisammenlebens, sie ist gewissermaßen ein Ausdruck des so selten ge
wordenen Strebens nach demselben. War aber dieses Bedürfniß einmal
vorhanden, so konnte es, wenn ihm der erste Gatte nicht Genüge that,
leicht auf vollkommen geregelte Weise befriedigt werden, weil der ein
seitigen Auflösung der Ehe fast keine Hindernisse entgegenstanden. Kam
also doch einmal ein Fall der Bigamie vor, so kam neben dem darin
liegenden stuprum oder adulterium *5) nur die gegen den anderen
Gatten begangene Rücksichtslosigkeit und zwar um so mehr in Be
tracht, weil sie leicht zu vermeiden gewesen wäre. — Die Kirche und
das canonische Recht dagegen haben vorzüglich den bigamischen Gatten
selbst und die ihm zur Pflicht gemachte Reinheit des Lebens und Be
kämpfung der Sinnenlust vor Augen; im Grunde stehen hier alle
**) Das will freilich Thomasius selbst nicht geradezu bestreiten; er selbst
sagt: Quodsi insuper conjunctio carnis a bigamo — — frequentetur,
multiplicatur quoque, si non bigamia, certe adulterium bigamicum.
**) Unterholzner, Verjährungslehre II. 10. Buch, §. 313, S. 463 ff.;
L. 9. pr. D. de furtis (47. 2.).
S. Roßhirt, Geschichte und System des deutschen Strafrechts III. Theil.
5. Buch, S. 68 ff.; für Oesterreich: Wahlberg, zur Lehre von der zweifachen
Ehe, in der allg. österr. Gerichtszeitung 1854, Nr. 25.
15) L. 18. C. ad Leg. Jul. de adulter. (9. 9.).