Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
1. Theil. Die Lehre vom Geiste. Der Sinn.
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und der Zeit virtuell oder potentiell in der Natur unserer Sinnlichkeit schon ent¬
halten sind, ohne jedoch schon bestimmte und fertige Vorstellungen zu sein; b) eine
aposteriorische Vorstellung, so nämlich, daß sich die Vorstellungen des Rau¬
mes und der Zeit mit unsern Vorstellungen wirklicher Ausdehnungen und wirk¬
licher Veränderungen gleichzeitig einstellen, und in Verbindung mit diesen zur
Anschauung kommen; c) eine begriffliche Vorstellung oder eine Denkvor¬
stellung, so nämlich, daß wir die einzelnen Theile oder die einzelnen Bestim¬
mungen des Raumes und der Zeit aufsammeln, aneinanderlegen, zu einem Gan¬
zen ordnen und zwar nach solchen leitenden Rücksichten, welche nicht die Sinn¬
lichkeit selbst, sondern nur der denkende Verstand zu nehmen im Stande ist. In
dem letztern Sinne sagt man z. B., Raum und Zeit seien ein Einiges, Stetiges,
Unendliches. Wenn aber auch die Vorstellungen des Raumes und der Zeit dem
anschauenden Subjecte überhaupt eigen und der Sinnlichkeit überhaupt schon ein¬
verleibt sind: so tritt doch die Anwendung derselben bei den verschiedenen
sinnlichen Anschauungen oft deutlicher, oft undeutlicher in's Bewußtsein. Und
zwar richtet sich dieses a) nach der größern oder geringern Verwandtschoft dieser
Formen mit gewissen Sinnen; b) nach der schärfern oder schwächern Sonderung,
die wir mit den angeschauten Gegenständen in Bezug auf Raum und Zeit vor¬
zunehmen innerlich genöthigt sind. So ist die Raumform den Gesichtsvorstellungen
näher verwandt, als den Gehörvorstellungen, wogegen die Gehörvorstellun¬
gen der Zeitform näher verwandt sind, als der Raumform: auch werden die Ge¬
sichtsvorstellungen mehr nach dem Raume, die Gehörvorstellungen mehr nach
der Zeit gesondert. Daher scheint es, als gehörten diese Formen dem einen oder
dem andern Sinne, z. B. die Raumform dem Gesichtssinne, die Zeitform dem
Gehörsinne, ausschließlich an.
3. Verschiedenheit des Sinnes.
§ 9.
Die Sinnesthätigkeit äußert sich nach einer doppelten Seite hin, entweder
nach Außen oder nach Innen, d. h. sie kehrt sich entweder der körperlichen
Außenwelt oder der geistigen Innenwelt zu. Der Sinn ist also verschieden; er ist
entweder äußerer oder innerer Sinn, je nachdem die Gegenstände, welche
wir durch den Sinn anschauen, entweder äußere, d. i. Gegenstände außer uns,
oder innere, d. i. Gegenstände in uns, sind. Da jedoch jede, auch die einfächste
psychische Entwicklung, folglich auch die sinnliche, ein doppeltes Element, ein
objectives und ein subjectives enthält, so wie jedes lebende organische Wesen nicht
bloß physisch, sondern auch psychisch ist, d. h. ein durch Empfindung erregtes
Streben nach bewußter subjectiver Thätigkeit besitzt, so hat die Benennung äuße¬