Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
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1. Theil. Die Lehre vom Geiste. Der Sinn.
könnten. Mit der Zeit verhält es sich ganz auf analoge Weise: sie wird hervor¬
gerufen durch die Vorstellung der Nacheinanderfolge oder der Succession.
und die eigentliche objective Zeit ist nichts Anderes, als die Nacheinander¬
folge allgemein und formell vorgestellt ohne Rücksicht auf die besondere
und materiale Verschiedenheit der Objecte, welche auf einander folgen. Was von
der Vorstellung des absolut leeren Raumes gilt, das gilt auch von der Vorstel¬
lung der absolut leeren Zeit: so wie es nur einen relativ leeren Raum gibt, so
gibt es auch nur eine relativ leere Zeit. Die Vorstellungen des Raumes und
der Zeit sind dem anschauenden Subjecte überhaupt eigen und der Sinnlichkeit
an sich schon einverleibt; sie sind nothwendige Bedingungen aller empirischen Existenz,
aber nichts ohne diese, sie sind unerläßliche Voraussetzungen alles sinnlichen Vorstel¬
lens und Gestaltens der Seele. Sie sind insofern auch a priori, d. h. sie lie¬
gen schon in dem mit Sinnlichkeit begabten, an Raum und Zeit gebundenen Sub¬
jecte virtuell oder potenziell eingeschlossen. Hiefür spricht auch der Umstand, daß
sie ungesucht und ohne alle Mühe und Anstrengung da in uns hervortreten, wo
ich die Vorstellung der Ausdehnung oder der Veränderung bei uns einstellt,
daß sie sich unter dieser Bedingung von selbst aufdringen und unmöglich entfernt
werden können, ohne daß die Vorstellung des sinnlichen Objectes mit ver¬
schwände. Hiebei besteht jedoch, daß es eines empirischen Umstandes bedarf, da¬
mit die Vorstellungen des Raumes und der Zeit in uns veranlaßt werden und
als bestimmte, fertige, ausgeprägte Vorstellungen in uns hervortreten. Und wirk¬
lich werden die Vorstellungen des Raumes und der Zeit veranlaßt durch die
Vorstellungen der Ausdehnung und der Veränderung, welche Vorstellun¬
gen doch wohl empirische Vorstellungen sind und erst hinterher erkennen wir,
daß die so vermittelten Vorstellungen des Raumes und der Zeit Bedingungen,
und zwar Formen der Ausdehnungen und der Veränderungen sind. Für den
großen Antheil, den die Erfahrung an den Vorstellungen des Raumes und der
Zeit hat, sprechen auch noch folgende Umstände: 1) daß wir die Vorstellungen
des Raumes und der Zeit gar nicht haben würden, wenn wir nicht einen
äußern und einen innern Sinn hätten, wie man denn in Beziehung auf den
Raum an Blindgeborenen deutlich bemerkt haben will, daß ihnen die Vorstel¬
lung des Raumes gänzlich abgehe, und daß sie, auch da, wo sie sich der Sprache
des Gesichts bedienen, Alles, was wir nach dem Raume beurtheilen, nach der
Zeit beurtheilen, die nothwendig ist, um von der einen Empfindung zu der
andern zu gelangen*), und wie es sich in Beziehung auf die Vorstellung der
Zeit ganz klar beim Thiere zeigt, welchem in Ermangelung des innern Sinnes
auch die Vorstellung der Zeit mangelt; 2) daß die Vorstellungen des Raumes
*) Vergl. Platner's Aphorismen Bd. 1. S. 440 der neuern Ausgabe.