Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

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Max-Planck-Institut für Bildungsforschungd 
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Einleitung. 
Menschen von dem des Thieres nicht wesentlich, sondern nur dem Grade nach verschie¬ 
den: nach ihm ist der ganze Mensch nichts mehr, als ein seine Einrichtung den¬ 
kender und fühlender Körper, höchstens ein vollkommeneres Thier, und der Glaube 
an Gott, an Geistigkeit, an Freiheit und Unsterblichkeit ist nichts, als blößer, auf 
Phantasiebildern, insbesondere auf Egoismus beruhender Wahn *). Auch der Dug¬ 
lismus der Menschennatur ist ein doppelter. Entweder wird angenommen, daß zwar 
auch der menschliche Körper des animalisch=psychischen Lebens fähig sei, daß aber 
diese Befähigung nur vermittelst des Hinzutrittes des Geistes zum Körper sich 
verwirkliche; oder es wird angenommen, daß der Mensch in der einen Rücksicht, 
in welcher er der Natur angehört, aus einem lebendigen Körper mit Einschluß 
einer Naturseele bestehe, daß aber zu diesem Einen Naturprincip ein von diesem 
Princip selbst insbesondere von der Naturseele wesenhaft verschiedenes, selbst¬ 
ständiges, intelligentes und freies Princip, welches wir Geist nennen, hinzutrete. 
Jener ist der alte, dieser ist der neue Dualismus. Was nun den Dualismus 
überhaupt betrifft, so findet dieser nicht bloß in dem Christenthume, sondern auch 
darin seine Begründung, daß in der ganzen menschlichen Natur, der sinnlichen 
und der vernünftigen, der unfreien und der freien, sich durchaus entgegenge¬ 
setzte, sogar widersprechende Richtungen zu erkennen geben, welche eben ihrer 
Entgegensetzung wegen aus einem einheitlichen Princip nicht begriffen werden 
können und aus diesem Grunde den Schluß auf zwei wesenhaft verschiedene Prin¬ 
cipien (auf Körper und auf Geist) nothwendig machen. Jedenfalls hätte die moderne 
Behauptung des alten Hylozoismus: daß der ganze Mensch nichts Anderes, 
als die Blüthe des Naturlebens, oder daß derselbe so zu sagen nur aus 
Einem Stücke gefertigt sei, höchstens als Schlußresultat der psychologischen 
Untersuchung einen Sinn; keinesweges aber kann und darf sie der Polarstern auf 
der Entdeckungsreise des Psychologen sein, wenn nicht im Voraus schon und ohne 
alle wissenschaftliche Nachweisung und Begründung über eine der allerwichtigsten 
Fragen abgeurtheilt werden soll. Jedenfalls läßt sich in der allerdings wahren 
Behauptung: „daß sich das menschliche Leben als die dritte Potenz und zugleich 
als höchste Einheit des irdischen Lebens, und hiermit zugleich im Unterschiede und 
Zusammenhange mit dem animalischen, vor die Augen jedes Beobachters hinstellt, 
noch keinesweges ein Grund für die Wahrheit des Satzes finden, daß Körper und 
Geist im Menschen eine und dieselbe Substanz sei, und der Geist nicht als 
Sein für sich gedacht werden könne. 
Nach dem Systeme des Dualismus — der uns übrigens hier auch nur 
im problematischen Sinne gelten darf und seine wissenschaftliche Rechtfertigung 
*) Wie wenig der materialistische Monismus vor seinen Consequenzen erröthet, bezeugt 
um ein Beispiel anzuführen, Drobisch: Emp. Psychol. Leipz. 1842, S. 236—37.
	        
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