Full text: Psychologie. ¬Die Lehre von dem Erkenntnißvermögen (Th. 1)

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 
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1. Theil. Die Lehre vom Geiste. Jnnerer Sinn. 
planlos durcheinander laufen, indem sie sich in ihrem Auftauchen und Verschwin¬ 
den lediglich nach äußern Reizen und nach zufälligen Associationen richten. Die 
Zerstreutheit entsteht allemal, wenn weder ein unwillkürliches Interesse sich geltend 
macht, noch ein ausdrücklicher Willensact unsere Thätigkeit leitet: also da, wo 
die Seele naturgemäß dem jedesmaligen momentanen Uebergewichte preisgegeben 
ist. Sie beginnt mit Theilung der Aufmerksamkeit und steigert sich bis zur gänz¬ 
lichen Unordnung des Gedankenlaufes. So wie der Mangel des Festhaltens an 
einem bestimmten Anhaltspunkte und der Mangel an festem Willen sich immer 
steigern kann, so kann auch die Zerstreutheit immer größer, endlich habituell und 
stehend und allgemeine Unaufmerksamkeit werden, so daß der Mensch alle Herr 
schaft über seine Aufmerksamkeit verliert und fast augenblicklich wieder vergißt, 
was er gesehen, gehört, gedacht und gethan hat. Die sonderbarsten und lächer¬ 
lichsten Mißverständnisse und Mißgriffe sind gewöhnliche Folgen hievon. Auch 
die Vertiefung, insbesondere die unabsichtliche, kann als Zerstreuung erschei¬ 
nen, doch ist diese von jener so verschieden, als die allgemeine und die besondere 
Unaufmerksamkeit von einander verschieden sind. Insbesondere wird die Vertie¬ 
ung dann leicht für Zerstreuung gehalten, wenn es an der gehörigen Bekannt¬ 
schaft mit dem Objecte fehlt, auf welches die Aufmerksamkeit des Vertieften ge¬ 
richtet ist. Der Unaufmerksamkeit und der Zerstreuung tritt entgegen die Samm¬ 
lung des Geistes, derjenige Zustand, in welchem der Geist bemühet ist, die 
zersplitterte Thätigkeit, insbesondere die Aufmerksamkeit, von ihren Gegenständen 
abzuziehen, sie zur Einheit zu vereinigen und einem bestimmten Gegenstande 
zuzukehren, um sich mit diesem vorzugsweise oder ausschließlich zu beschäftigen. 
Schließlich muß noch vor drei Mißbräuchen der Aufmerksamkeit gewarnt 
werden, welche nur gar zu leicht üble Folgen haben können. Hieher gehört 
1) die immerwährende und unausgesetzte Beschäftigung der Aufmerksamkeit mit 
einem und demselben Gegenstande. Eine gänzliche Verrückung des Kopfes 
ist die gewöhnliche Folge hievon. Wie das zugehe, ist bald gesehen. Bei bestän¬ 
digem Aufmerken auf einen und denselben Gegenstand nämlich fehlt es dem 
Sinne und dem Verstande an der nothwendigen Uebung; das Bewußtsein aller 
übrigen Gegenstände verliert sich nach und nach; alles Vorstellen zieht sich auf 
einen Gegenstand zusammen, der nun mit einer solchen Stärke auf die Seele 
wirkt, daß sie die Vorstellung desselben nicht mehr tragen kann und der Ge¬ 
walt derselben unterliegen muß, was besonders der Fall ist, wenn der Ge¬ 
genstand das Gemüth stark afficirt und in eine anhaltende Traurigkeit versetzt, 
z. B. Eingenommenheit von sich selbst, ein empfindlicher Verlust, leidenschaftliche, 
besonders unbefriedigte Liebe, so daß hier nicht allein das Erkenntniß= sondern 
auch das Gefühls=Vermögen in Unordnung gebracht ist. Dann gehört hieher 
2) ein ängstliches, ausschließliches Aufmerken auf uns selbst, auf unsern
	        
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