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schütterten; dennoch hielten die Perser standhaft aus, und in der ganzen
Geschichte dieses 17jährigen Kampfes zwischen dem Islam und dem
Magismns findet sich kein einiges Beispiel von Verrath, kein einziger
Ueberläufer, selbst nicht in der Erzählung Wakedi’s, die ich für mich
von Anfang bis zu Ende übersetzt habe.
§ 6. Aber selbst zugegeben, dass die ganze Erzählung nur ein
Roman sei (und es würde mir gar keine Resignation sein, dieses zuzu
geben), so ist sie dennoch in vieler Beziehung merkwürdig. Für die
Geographie bietet sie eine wahre Ausbeute dar, wie ein Blick auf das
geographische Register darthut. Viele Lokalitäten sind ganz getreu
geschildert, und lassen sich ohne Mühe wieder erkennen; und wo letz
teres nicht der Fall ist, da tritt der Umstand ein, dass es eben solche
Punkte sind, die noch von keinem europäischen Reisenden besucht wur
den. Ich habe fast alle vorhandenen Werke dieser Art nachgelesen,
und es ist mir gelungen, manche Lokalität, an deren Auffindung Nie
buhr und Ewald verzweifelten, zu fixiren; aber noch viel, sehr viel
bleibt künftigen Forschern überlassen.
Aber eine noch viel wichtigere Seite darf ich nicht ganz unberührt
lassen. Wir schen hier ein Volk in der frischesten Begeisterung einer neuen
aber sinnlichen Religion, ein von jeher raubsüchtiges, beutelustiges Volk
im Kampfe mit den Griechen und Armeniern, mit denjenigen Staaten,
die zuerst das Christenthum als Staatsreligion einführten, aber auch
zuerst das Christenthum verunstalteten. Die Leichtigkeit, ja der Leicht
sinn, womit die Heerführer und Fürsten der Griechen ihre Religion
aufgaben, beweist, wie wenig sie Wurzel in ihrem Herzen gefasst hatte;
so schmerzlich es jeden Leser aber auch berührt, so muss doch jeder
zugeben, dass solche Menschen auch gar kein Mitleid verdienen, und die
Christenheit hat gar keine Ursache, sich über ihren Abfall zn grämen.
Der Radhi von Bagdad liefert uns hier nicht nur ein getreues Bild der
durch und durch verdorbenen und verfaulten Zustände in Aegypten,
Syrien und Mesopotamien, sondern predigt auch auf eine eindringliche
Weise jene ernsten, ewigen Grundsätze der Religion und Moral, welche
für das Bestehen der menschlichen Gesellschaft, für die Erhaltung der
Staaten unerlässliche Bedingungen sind; er hält uns einen Spiegel vor,
worin alle Völker sehen können, wohin es führt, wenn Indifferentismus
in der Religion und Lauheit in der Moral in einem solchem Grade
Ueberhand nehmen, dass Treue gegen den Fürsten, Liebe zum Vater
lande, Standhaftigkeit im Glauben unbekannte Dinge sind: ein solcher
Staat, falls der Name Staat noch anwendbar ist, stürzt bei dem gering
sten Stoss von Aussen zusammen. Der Ueberlebende hat nicht einmal