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von diesen Zeichen aus!) eine diagonale Mauer anlegen und von der
Mitte dieser aus eine zweite, die mit der Ecke der Grundmauer in
Verbindung steht. So werden die Zähne und das diagonale Mauer¬
werk nicht mit ganzer Wucht auf die Grundmauer drücken lassen,
sondern die Druckraft der Erdauffüllung durch Zurückhalten
zer¬
splittern.
8. Wie man nun die Bauwerke ohne Fehler errichten und wie
man den bestehenden begegnen kann, habe ich auseinandergesetzt:
denn bei der Veränderung der Ziegelplatten, des Balkenwerks und
der Latten bedarf es nicht derselben Sorgfalt, wie in jenen Stücken,
weil dieses, wenn es auch schadhaft wird, leicht ersetzt wird. So
habe ich auseinandergesetzt, auf welche Art das, was selbst nicht als
haltbar erachtet wird, doch fest wird sein können, und wie dieß in's
Werk gesetzt wird.
9. Welche Arten von Baumaterial aber der Baumeister an¬
wenden muß, das liegt nicht in der Hand desselben; deshalb, weil
nicht allerorts alle Arten von Baumaterial entstehen, wie im ersten
Buche 2) auseinandergesetzt ist. Außerdem steht es in der Gewalt des
Bauherrn, ob er in Ziegeln, in Bruchstein oder in Quadern bauen
will. Daher kommen bei der öffentlichen Gutheißung drei Richtungen
in Betracht, nämlich in Bezug auf die Sorgfalt der Werkführung,
auf prächtige Ausstattung und auf die Anlage. Wenn man ein von
Seite des Bauherrn prächtig aufgeführtes Bauwerk beschaut, so wird
man den Aufwand loben; wenn ein sorgfältig ausgeführtes, so wird
die Genauigkeit des Werkmeisters Anerkennung finden; wenn es aber
in Bezug auf die durch zusammenstimmende Zahlen= und Maßver=
hältnisse erzielte Gesammtheit ansehnlich sein wird, dann wird der
Ruhm dem Baukünstler gebühren.
10. Dieß aber wird wohl erreicht, wenn er sowohl von Werk¬
leuten, als auch von Laien in der Kunst Rathschläge anzunehmen
willig ist. Denn Alle, nicht blos die Baukünstler, sind im Stande,
das anzuerkennen, was gut ist, aber zwischen den Laien und jenen
(den Baukünstlern) ist der Unterschied, daß der Laie, wenn er etwas
1) D. h. von einem Zeichen zum andern.
2) primo statt proximo (Marini).
Vitruvius, Architektur.
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