Full text: Zweyter Band (2)

M. VITRUVIUS P. BAUKUNST. 
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Nach der Meinung einiger geht diess also zu: Wenn die Sonne, sagen 
sie, sich gar zu weit entfernt, so gebricht es der Bahn der Planeten 
an Licht, und sie werden irre in ihrem Wege und aufgehalten. In¬ 
zwischen, dieser Meinung stimme ich nicht bey. Das Licht der Sonne 
ist hell und sonder Abnahme überall am ganzen Himmel sichtbar, 
wie wir diess selbst dann offenbar sehen, wenn die Planeten rück¬ 
läufig sind und stillstehen. Da unser Gesicht es nun in einer sol¬ 
chen Ferne wahrzunehmen vermag; wie sollten wir glauben, dass 
jene Götter, die leuchtenden Gestirne, blind dafür seyn könnten! Viel¬ 
mehr erkläre ich mir die Sache also: 
Die Wärme ruft alles hervor und zieht es an sich. Gleichwie 
wir vermittelst der Wärme das Getreide aus der Erde in die Höhe 
wachsen; nicht minder auch wässerige Dünste aus den Quellen zu 
den Wolken im Regenbogen aufsteigen sehen: Eben also zieht auch 
der Sonne Hitze, wenn sich ihre Strahlen in Trigonalgestalt verbrei¬ 
ten, die ihr folgenden Planeten an sich, und lafst die vor ihr her- 
gehenden, indem sie sie gleichsam zügelt oder zurück hält, sich nicht 
fort bewegen, sondern zwingt sie, zu ihr zurückzukehren und in das 
Zeichen eines anderen Triangels zu treten. 
Wirft man mir ein, woher es komme, dass die Sonne derglei- 
chen Zurückhaltungen durch ihre Wärme eher im fünften Zeichen 
von sich bewirke, als im zweyten und dritten, die ihr doch näher 
sind? So antworte ich: Die Sonne versendet ihre Strahlen am Him¬ 
mel in Linien, die ein gleichseitiges Dreyeck bilden; das ist aber 
weder mehr noch weniger, als bis zum fünften Zeichen von ihr. 
Verbreiteten sich hingegen die Sonnenstrahlen durch die ganze Welt 
in der Runde und nicht in Linien, welche die Gestalt eines Dreyecks 
bilden; so würden sie alles, was in der Nähe wäre, entzünden, wie 
auch der griechische Dichter Euripides bemerkt zu haben scheint;
	        
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