M. VITRUVIUS P. BAUKUNST.
ten, sondern auch eine anständige Erziehung genossen hatten; in der
Überzeugung, dass edele Bescheidenheit, nicht aber freches Hervor¬
drängen, Vertrauen verdiene. Die Künstler selbst aber unterrichte¬
ten bloss ihre eigenen Kinder oder Anverwandten, und bildeten diese
zu rechtschaffenen Leuten, deren Ehrlichkeit 2) man ohne Bedenken
die Gelder zu ansehnlichen Gebäuden anvertrauen konnte. Itzt be¬
merke ich, dass Unwissende sonder Erfahrung sich für Meister in
der Architectur, in dieser so viel umfassenden Kunst, ausgeben, Leute,
die eben so wenig etwas von der Theorie als von der Praxis
— fabrica — verstehen. Ich kann also nicht anders, als diejenigen
Bauherren loben, welche, im Vertrauen auf selbst erworbene Kennt¬
nisse, ihre eigenen Baumeister abgeben. Sie denken, dass da sie sich
doch einmal Unwissenden überlassen müssen, sie lieber sich selbst den
Vorzug geben, und nach eigener, als nach fremder Willkühr ihr Geld
verthun wollen.
Da nun niemand sich einfallen lässt, irgend eine andere, als
die Baukunst, ja z. B. weder das Schuhmacher- noch Walker- noch
sonst ein noch leichteres Handwerk zu Hause selbst treiben zu wollen;
und zwar bloss, weil diejenigen, welche Profession von der Baukunst
machen, nicht mit Wahrheit, sondern nur fälschlich Baukünstler
heissen; so hat dieses mich veranlafst, ein vollständiges Werk über
die Baukunst abzufassen, und darin die ganze Theorie derselben um¬
ständlich auseinander zu setzen; in der schmeichel haften Hoffnung
dem Publiko damit kein unangenehmes Geschenk zu machen.
Nachdem ich denn im fünften Buche von der bequemen Beschaffen¬
heit öffentlicher Gebäude gehandelt habe; will ich nun in diesem die
Theorie und das schickliche Verhältnifs der privat Gebäude vortragen.
a) Ich lese: quorum fidei tantarum rerum pecuniae sine dubitatione permitterentur.