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M. VITRUVIUS P. BAUKUNST.
daraus erhebt; hingegen, das an offenen, unbedeckten Orten die auf
gehende Sonne, sobald ihre Strahlen die Welt treffen, aus feuchten
und wasserreichen Gegenden Dünste ziehet, ja sie in Gewölken empor
hebt. Da es nun einleuchtend ist, dass von der Luft, an unbedeck¬
ten Orten, die lästigen Feuchtigkeiten aus den Körpern gesogen wer¬
den, so wie sie aus der Erde in Nebel aufzusteigen scheinen: So ist
es auch, wie mir scheint, aufser Zweifel, dass man in allen Städten
sehr- grosse und stattliche unbedeckte Spaziergänge unter freyem Him¬
mel anlegen müsse.
Damit diese aber beständig trocken und nicht kothig seyn mögen.
so hat man also zu verfahren. Man grabe sie auf und leere sie in
ansehnlicher Tiefe aus. Darauf lege man zur Rechten und zur Lin¬
ken gemauerte Schleusen — struckiles cloacae— an, in deren Mauern
auf den Seiten nach dem Spaziergange hin, man dünne Röhren
— tubuli — so leitet, dafs sie sich mit der Mündung abwärts in die
Schleusen neigen. Ist diess geschehen, so fülle man das Aufgegra¬
bene mit Kohlen aus, schütte Sand darüber und mache die Gange
gleich und eben. Solchergestalt wird vermöge der natürlichen Poro¬
sität der Kohlen, und der in die Schleusen geleiteten Röhren die
überflüssige Feuchtigkeit abgeführt werden, und die Gänge werden
vollkommen trocken ohne alle Nässe seyn.
Zu dem haben unsere Vorfahren in dergleichen Anlagen den
Stadten einen Schatz an höchst nothwendigen Dingen aufbehalten.
Denn bey Belagerungen ist alles leichter anzuschaffen, denn Holz
Das Salz wird leicht vorher herbey geholt; an Getreide sind öffent-
liche und privat Vorräthe bald bewerkstelliget, oder, falls sie mangeln.
sind sie durch Gartengewächs, Fleisch und Gemüse zu ersetzen; Was¬
ser kann man durch Brunnengraben schaffen, oder es bey plötzlichen
Regengüssen auffangen: Nur in Ansehung des Holzes, das doch zum