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M. VITRUVIUS P. BAUKUNST.
Gebirge, und thaten daraus in zahlreichen Rotten Ausfalle,
und
beraubten und verheerten anfangs die neue Pflanzstadt auf das grau¬
samste. Nach Verlauf einiger Zeit aber legte der Colonisten Einer,
um etwas zu gewinnen, neben dieser Quelle, ihres schönen Wassers
wegen, ein Wirthshaus an, rüstete es mit allem möglichen Vorrathe
aus, und war bald vermittelst seiner Geflissenheit so glücklich in sei¬
nem Unternehmen, dass er sogar auch die Wilden an sich zog. Ein¬
zeln und in Haufen fanden sie sich bey ihm ein, und entwöhnten
sich unvermerkt ihrer rohen und wilden Lebensart durch die Ge¬
meinschaft mit den Griechen, deren milde Sitten sie freywillig annah¬
men. Und so, weil die Gemüther der Wilden, zwar nicht durch
Mittheilung der Seuche der Unzucht, sondern durch die Süssigkeit
der Humanität, milder geworden waren, gerieth die Quelle in diesen
Auf! — Itzt fahre ich in der angefangenen Beschreibung der Stadt
weiter fort. Gleichwie also zur Rechten der Tempel der Venus
nebst der vorerwähnten Quelle; so liegt auf der linken Ecke der
königliche Pallast, welchen Mausolus nach seinem eigenen Plane
erbauete. Man sieht daraus, rechts den Markt, den Hafen und
die ganze Stadt; links aber einen geheimen, vom Gebirge so sehr
versteckten Hafen, dass niemand, was darin vorgeht, weder sehen
noch wissen kann; der König aber aus dem Pallaste den Schiffsleuten
und Seesoldaten ohne jemandes Wissen die nöthigen Befehle zu erthei¬
len vermag. Als daher, nach Mausolus Tode, die Regierung des¬
sen Gemahlin Artemisia zufel,- und die Rhodier aus Unwillen,
dals ein Weib die Städte Cariens beherrschen sollte, eine Flotte
ausrüsteten, um dieses Reich zu erobern; so lies Artemisia, als
sie Nachricht davon erhielt, in diesem Hafen eine Flotte nebst Matro¬
sen und Seesoldaten — epibatae — verbergen; alle übrige Bürger aber
sich auf die Stadtmauer stellen. Die R ho dier laufen nun ungehin¬