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Des inneren Peristyls wegen muss die Zelle eines Hypäthros immer um zwey
Säulenweiten breiter werden, als an einem gleichnamigen bedeckten Tempel. Ein
Hypäthros peripteros hat demnach in den Fronten zwey Säulen mehr, als ein
bedeckter Peripteros: also achte; soll er hingegen Dipteros seyn, so bekommt
er deren zehn in den Fronten. In seiner Beschreibung hat Vitruv nur diese lezte
Gattung vor Augen, weil er, von der Liebe zur oben bemerkten Progression der
Säulenzahl geleitet, hinter dem bedeckten Dipteros, welcher acht Säulen in den
Fronten zählt, nur noch einen zehnsäulichen aufführen zu müssen glaubte; da hin¬
gegen die von ihm angeführten Beyspiele, des achtsauligen Parthenons — welches
ein Peripteros war — und des zehnsäuligen Tempels des olympischen Jupiters
welcher ein Dipteros war — augenscheinlich darthun, dass er beyde Gattungen sta¬
tuirt: und das als Ogdostylos angeführte Pärthenon macht sicher in keinem Betracht
eine Ausnahme von der gegebnen Regel.
Unter dem Dekastylos aber, welches er als Beyspiel aufstellt, kann er unmog
lich den Tempel zu Olympia gemeynt haben. Denn erstlich hat dieser, wie Pau-
sanius berichtet, nur ein einfaches Pteroma, und war folglich — wenn er ja ein
Hypathros gewesen wäre — sicher höclstens Ogdostylos. Wollte man auch wider
alle deutliche Anzeige darauf bestehn, Vitruv habe in dem Parthenon eine Ausnahme
anzuführen gemeynt, so wirdeman doch nicht behaupten wollen, dass er die Unge¬
reimtheit so weit getrieben habe, zu beyden Beyspielen nur Ausnahmen zu wählen:
hätte er aber gar kein genaueres Beyspiel zu seiner Vorschrift finden können; so
hätte er diess zu melden wohl nicht unterlassen. Zweytens so war der olympische
Tempel gar kein Hypâthros, sondern seine Zelle hatte eine Decke und folglich war er
nur Hexastylos. Denn man findet anderwärts bemerkt, dass der Gott mit seiner Scheitel
schier die Decke berührte, worauf sogar einige ihren verfehlten Tadel gründeten:
weil nämlich solchergestalt der Gott ja nicht aufstehen konnte, sondern gezwungen
war, ewig zu sitzen. Es ist mir nicht entfallen, dass Pausanias sagt *): Es stehen
inwendig in dem Tempelhause Pfeiler, auf denen eine Gallerie in der Höhe ruhet
worauf man zu der Bildsäule geht. Allein, eben die Stellung dieser seiner Anmer¬
kung deutet mir an, dass er von einer besonderen Eigenheit an diesem Tempel zu
reden vermeynet; in den Hypâthren aber war das Peristyl nicht nur eine durch-
gangig angenommene Sache, sondern es bildete auch sicher keine Gallerie in der
Hohe, und am wenigsten konnte es zur Statüe hinführen. Der Thron des Gottes
stand auf einem sehr hohen Unterbau, von solcher Art, wie wir oben in dem klei¬
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*) Nach Goldhagens Uebersetzung: Elea, 6. 601.
20 Fr. IB).