Full text: Genelli, Hans Christian: Exegetische Briefe über des Marcus Vitruvius Pollio Baukunst an August Rode

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diglich zur Befriedigung des Auges angebracht ward, wie ich schon oben an 
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zeigte u). 
Damit war nun die eine Constructionsart zu Stande gebracht, welche ein Ge¬ 
bälk giebt, das gegen die Säulen nie von betächtlicher Höhe werden will, und so 
auch auf hohe und schlanke Säulen berechnet ist, und eine Ordnung constituirt, 
in welcher das plastische Spiel der Phantasie sich freier hervorthun und bewegen 
kann. Und untersucht man nun solches Gebälk aus diesem Gesichtspunkt, so¬ 
wohl so wie Vitruv es angiebt, als wie wir es in Griechischen Ueberbleibseln 
finden; so wird man bewundern müssen, wie Zusammensetzung und Verhältnisse 
an demselben sowohl durch das innere Bedürfniss vollkommen motivirt, als auch 
der Forderung des äussern Anstandes eben so völlig entsprechend sind: als durch 
welche Uebereinstimmung allein eine wahre Eurythmie producirt wird. Es bedarf 
übrigens wohl keiner Erinnerung, dass diese ganze Construction nur auf Marmor 
und andre Kalksteine, nicht aber auf Porphyr oder Granit berechnet ist. Auch 
haben die Griechen höchstens Säulenschafte, nie aber ein Gebälk aus letzt be¬ 
nannten Steinarten verfertigt. Dieselbe Rücksicht auf das übliche Gestein mülste 
man aber eben so vor Augen behalten, wenn man die Egyptische Architectur 
richtig beurtheilen wollte. 
Es war aber, denselben Zweck zu erreichen, eine zweite Art möglich. Die 
Dorische Säule hatte dem plastischen Trieb weniger Gelegenheit geboten sich thä¬ 
tig zu zeigen, als die jonische: ihrem männlichen Charakter nach blieb sie ohne 
Base, oder bekam doch nur eine sehr schlichte, und ihr Kapitell durfte nicht mit 
üppigen Zierathen prangen, verkündete aber in seiner mächtigen winkelscharfen 
Platte schon stark eine mathematische Strenge, der vorherrschend die ganze Ord¬ 
Siehe die ganze Construction im Plan und Durchschnitt, Tab. XII. Fig. 2 & 3. nach Vitruvs kleinstem 
Verhältnifs. Hierbei muss ich noch anmerken, dass wenn ich in meinem zweiten Briefe (pag. 18. Zeile 9 
& 10. von oben) sagte, dass bei einer Breite des Pronaos, die noch unter zwanzig Fuss blieb, zwischen 
den Parastaten die beiden Säulen mitsammt ihren Architraven weggelassen wurden, solches nur in 
dem Fall anzunehmen ist, wenn die Decke im Pronaos und Prostylium von Holz zusammengesetzt wurde. 
Bei steinernen Decken konnten, auch bei dem kleinsten Maafsstab, wohl die Säulen, aber, wie man aus 
dem oben entwickelten ersieht, nie déf durchgehenden Architraven entbehren. Auch habe ich dort (Seite 
25. Zeile 3. von unten) bei Gelegenheit der Periptern mit steinernen Decken vorgebracht, dass die Spar¬ 
ren des Dachgebindes über die Köpfe der Gebindbalken hinaus bis an den Traufrand hinüber reichten: 
welches ich hier zurücknehmen muss. Der Fehler liegt darin, dass ich im Risse dort die Gebindbalken 
zu hoch legte; sie sollen aber so liegen, dass die Sparren mit ihren Füssen auf ihren Kopfenden völlig 
aufstehn und nicht weiter zu reichen brauchen, als welches eine fehlerhafte und missliche Methode wäre. 
s. Her begferegen.
	        
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