Full text: Vierter Band (4)

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Vom Blute. 
im Übermaaße vorhanden, ist er für das Leben schädlich, durchbricht 
seine Behälter und ergießt sich entweder an der Oberfläche, oder 
in das Zellgewebe, wo er Brand erregt; endlich vermißt man ihn 
bei vielen der vollkommensten Gewächse, und es ist nur eine Hülfs 
hypothese, wenn behauptet wird, daß er hier farblos, durchsichtig 
und daher unsichtbar sey. Der wichtigste Grund, den man für die 
Analogie mit dem Blute anführt, ist der, daß der Milchsaft einen 
Kreislauf macht; allein dieser ist selbst zu problematisch (§. 692), 
als daß sich daraus etwas erweisen ließe. Sollten die Pflanzen ei 
nen eigenen, von dem Nahrungssafte verschiedenen, in besondern 
Gefäßen umlaufenden Lebenssaft besitzen, so würden sie über allen 
wirbellosen und in gleicher Linie mit den Wirbel-Thieren stehen, 
denn die Gänge, welche den rohen Saft führen, müßten den Saug 
adern, die den Wirbelthieren ausschließlich zukommen, analog seyn. 
§. 662. Während die Phytologie hier nur nach Gründen der 
Wahrscheinlichkeit urtheilen kann, erfreut sich die Zoologie einer 
sicherern empirischen Basis: allein nur eine Linie über diese Grund 
lage hinaus, ermangelt auch sie der augenscheinlichen Gewißheit. 
„Es liegt in der Beschaffenheit des Blutes, daß die daran wahrge 
nommenen Erscheinungen sich jeder Meinung fügen und anpassen 
lassen," sagt Burkhart (Nr. 527 S. 21). Und in der That 
hat die Hämatologie ganz den Charakter des Blutes selbst. Wie 
das Blut ein nie ruhender Proteus ist und sich zu Allem und 
Jedem umzugestalten vermag, so ist auch nichts denkbar, was man 
nicht von ihm ausgesagt hätte: hier ist keine Thatsache, die nicht 
geleugnet, keine Deutung, die nicht durch eine andere bekämpft 
worden wäre; über jeden Punct werden entgegengesetzte Erfahrun 
gen und Ansichten aufgestellt. Wie das Blut einerseits durch ei 
nen klaren Mechanismus getrieben wird und treibt, andererseits mit 
Zaubergewalt schafft und belebt, so finden wir die Hamatologie 
bald in mechanischen Ansichten erstarrt, alle Thatsachen, welche 
nicht darein passen, steif leugnend, bald wieder in mystischen Theo 
rieen wirbelnd, welche das Begreifen als eine niedere Function ver 
schmähen, von einer Erkenntniß durch Vergleichung mit andern 
Naturerscheinungen nichts wissen wollen und entweder eine beweis 
lose Anschauung der sinnlichen Erfahrung entgegensetzen, oder um¬
	        
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